Freitag, 23. Januar 2015

Inselhopping: Drei Tage, vier Grounds


Groundhopping auf der Insel, 17.-19. Januar 2015:
Derby County – Nottingham Forest 1:2, iPro Stadium
Sheffield Wednesday – Bolton Wanderers 1:2, Hillsborough Stadium
West Ham United – Hull City 3:0, Upton Park



London Calling

Samstagmorgen, 3.30 Uhr: Kaum geschlafen, der Wecker klingelt trotzdem. 
4:15 Uhr: In der Tremoniastraße fährt das vorbestellte Taxi vor, das uns zum Dortmunder Hauptbahnhof fährt. 
7:00 Uhr: Der Flieger beschleunigt auf der Startbahn des Düsseldorfer Flughafens. Auf geht’s Richtung Insel.  Das erste Erfrischungsgetränk gibt es auf halber Strecke – der Tag wird noch lang genug werden.
8:45 Uhr: Wir erreichen King‘s Cross. Da unser Hotel leider keinen Gepäckservice anbietet und unser Check-in erst um 12 Uhr möglich ist, deponieren wir unser Gepäck kostengünstig im Gepäckdepot am St. Pancras für wirklich faire zehn Pfund. Pro Gepäckstück versteht sich. Egal, schnell akzeptieren wir, dass Geld an diesem Wochenende keine Rolle spielen darf.


The Rams meets Forest
 
10:00 Uhr: Wir sitzen im East-Midlands-Zug nach Derby. Zum Derby. Kurz nach High Noon steht dort das erste Spiel an diesem Tag auf dem Programm: Derby County empfängt den Nachbarn, Traditionsverein und zweimaligen Landesmeister-Cupsieger Nottingham Forest. 
11:30 Uhr: Nach 1,5 Stunden Fahrtzeit durch Schnee und Eis und weiteren Erfrischungspatronen im Zug – in England wird zu fanfreundlichen Preisen Dosenbier in den Zügen verkauft – erreichen wir Derby. Das Stadion liegt etwa 15 Gehminuten vom Bahnhof entfernt in einem Industriegebiet. Das iPro Stadium (früher Pride Park) wurde 1997 eröffnet, dementsprechend handelt es sich um eine dieser neuen, lieblosen Blechkisten irgendwo außerhalb. Leider gibt es daher auch wenig Pubkultur rund ums Stadion. Da wir sowieso knapp in der Zeit liegen, schmerzte das nicht sonderlich. Wir entschließen uns, im Stadion noch eins zu nehmen. Mit Fanshop und Anstehen wird es letztlich aber so knapp, dass wir die Hülse auf die Halbzeit vertagen musste.

Vor dem Spiel hatten wir gehofft, dass wir wenigstens in einem Derby mit etwas Stimmung rechnen konnten und kein Operettenpublikum vorfinden würden – wie inzwischen eher auf der Insel üblich. Doch siehe da: Wir werden mehr als positiv überrascht. Das Stadion ist erwartungsgemäß ausverkauft, der Gästeblock gut gefüllt und die gesamte Heimkurve hinterm Tor peitscht ihre Mannschaft die ganze Zeit nach vorne. Das gleiche tun die Forest-Fans – die Atmosphäre ist klasse und eines Derbys in Derby absolut würdig. Und auch dem dem Spiel kommt die Stimmung zugute, beide Mannschaften geben Vollgas. Derby geht schnell durch ein Eigentor in Führung, Forest scheint angezählt, aber so richtig Zwingendes ergibt sich nicht mehr für Derby, trotz aller Bemühungen. Zur Halbzeit hechten wir in die Katakomben. Die Versorgungsstände sind jedoch hoffnungslos überfüllt, so dass wir unser verdientes Pils – stilecht aus Plastikflasche – im Eiltempo runterstürzen müssen.

Die zweite Halbzeit geht wieder temporeich los, jetzt ist allerdings Forest am Drücker, während Derby merklich dem Tempo der ersten Halbzeit Tribut zollen muss. Folgerichtig fällt der Ausgleich.

Kurz vor 14:00 Uhr: Es läuft die 85. Minute, als wir unserem weiteren Tagesprogramm zuliebe vorzeitig unsere Plätze räumen, um unseren Zug nach Sheffield zu bekommen. Wir machen uns wenig Sorgen, noch groß etwas zu verpassen, beide Mannschaften scheinen sich irgendwie mit dem Ergebnis zu arrangieren. Im Sprinttempo laufen wir den knappen Kilometer zum Bahnhof und erreichen überpünktlich unseren Zug. Schnell versorgt uns ein freundlicher Mensch mit Pils im Zug. Um sicherzugehen, dass wir auch tatsächlich nichts mehr verpasst haben, checken wir kurz das Endergebnis – scheiße, 1:2 für Forest. Tatsächlich doch noch ein Tor in der 3. Minute der Nachspielzeit! Naja, den Zug hätten wir dann wohl locker verpasst und das ganze Programm mit dem Spiel in Sheffield wäre für die Katz gewesen. Zumal sich dort herausstellen wird, dass sich unser pünktliches Erscheinen lohnt…


Ob Regen und Schnee – Sheffield Wednesday Oleeeeee


14:45 Uhr: Wir erreichen Sheffield. Bis zum legendären Hillsborough-Stadion sind es aber noch ein paar Minuten, da es etwas außerhalb des Stadtkerns liegt. Ein Taxi hilft. Sheffield versprüht, als ehemalige Stahl-Hochburg, den Charme mancher herunter gekommener Städte im Ruhrgebiet, wobei der Stadtkern in den letzten Jahren deutlich aufpoliert wurde. Hillsborough liegt jedoch richtig schön passend in einem Industriegebiet. Doch anders als das Stadion in Derby, ist Hillsborough eine richtig alte Schachtel mit einer traurigen Geschichte. Das Stadion wurde 1899 eröffnet und über die Jahre ständig erweitert. 1966 war es Spielstätte bei der WM (u.a. spielte Deutschland dort) und 1989 Schauplatz der Hillsborough-Katastrophe.

15:00 Uhr: Fast auf die Sekunde genau landen wir auf unseren Plätzen auf dem Spion Kop, der letzten Tribüne in England die von Stehplatz in Sitzplatz umgewandelt wurde und idyllisch in einen Hang gebaut liegt. Am Stadion nagt sichtbar der Zahn der Zeit: die Stufen hoch in den Block sind ordentlich kaputt und vermoost, im Stadionumfeld sehen die Gehwege eher wie Seenplatten aus – also ein richtig schöner Ort um guten traditionsreichen und nostalgischen Fußball zu gucken. Vom Spiel hatten wir im Vorfeld nicht viel erwartet, von der Stimmung auch nicht. Auch hier werden wir aber positiv überrascht. 22.000 Zuschauer finden den Weg zum Spiel, auf unserer Tribüne sitzen die  Stimmungsmacher! Wahnsinn, wieder Stimmung in einem englischen Stadion! Pünktlich zum Spiel setzt starker Schneefall ein. Besonders bemerkenswert, aber auch irgendwie typisch, fällt uns ein Typ auf der unüberdachten Tribüne in einer der Ecken auf.  Auf die Entfernung ein Prototyp eines englischen Fans, vermutlich noch Gründungsmitglied der Owls Crime Squad. Bevorzugte Bekleidung des Stiernackens: Nackte Bierplautze vom Feinsten, Schnee und Regen plätschern auf die Fleischmütze. Und das die vollen 90 Minuten. Geiles Schauspiel!

Wir haben uns kaum hingesetzt, da klingelt’s auch schon im Gebälk – und wir wissen, warum sich der vorzeitige Aufbruch in Derby doch gelohnt hat. Die Gäste aus Bolton machen nach eklatantem Abwehrfehler das 1:0, auch das zweite Tor der Wanderers lässt nicht lange auf sich warten. Das Spiel scheint gelaufen, doch Sheffield gibt nicht auf und erzwingt Mitte der ersten Halbzeit einen Elfer, der zum 1:2-Anschlusstreffer führt.

Das Spiel ist kein Leckerbissen, aber der Einsatz stimmt. Es entwickelt sich Kick-and-Rush bei widrigen Platzverhältnissen von aller bester britischer Prägung! Hin- und her und manchmal einfach unfassbar, weil scheinbar einfachste Bälle ins Aus springen, ohne Not. Zur Halbzeit suchen wir die hochmodernen Sanitäranlagen auf. Die Wege bestehen nur aus Wasser, knöcheltief versteht sich, was die Leute und uns aber nicht abhält, den Weg zum Versorgungsstand zu suchen. Badehosen hatten wir dummerweise nicht dabei… Die Halbzeit reicht für ein Kaltgetränk – aus Plastikflasche versteht sich – bevor es wieder hoch den Hügel in unseren Block geht.

In der zweiten Halbzeit reißt der Einsatz nicht ab. Bolton macht wenig, Sheffield viel, aber wenig Effektives. Das Spiel hat es in sich, die Schien- und Wadenbeine fliegen irgendwann durch die Gegend. Rote Karte, Abseitstor, Lattentreffer, Glanzparaden – das Spiel hat wirklich was zu bieten. Am Ende reicht es für Wednesday nicht mehr zum Ausgleich, der durchaus verdient gewesen wäre.

17:00 Uhr: Nach dem Spiel geht’s wieder raus in den Schneematsch. Der Rückweg ist eher zähflüssig und dauert ewig. Die kurze Nacht macht sich bemerkbar. Beim King im Bahnhof wird Zwischenstopp gemacht, ein paar Patronen kaufen wir im Kiosk nebenan. Dann ab in den Zug zurück nach London


Der Mond von Milton Keynes


Die Luft ist fast raus. Wärme, Sitzen, Pils trinken – zwei Stunden bis London – so der Plan. Im Zug fällt gleich eine Gruppe Jungs ins Gesicht, ähnlich wie wir, mit vollen Plastiktüten voll Pils. Einer der Typen ist ein Stiernackennachwuchs aus dem Bildebuch: blanke Birne, fette Plautze und eine Kauleiste, die den Asphalt schon häufiger mal geküsst hat. Schnell ist klar: Die Rückfahrt wird eher unterhaltsam sein. Der Kahlkopf findet einen weiteren Verbündeten aus Bolton, dem er gleich seine Lebensgeschichte aufs Auge drückt, natürlich so, dass es der ganz Zug vernimmt:  Geboren 1994, gezeugt in Magaluf (der Ballermann für Tommies auf Malle), und weil sein Erzeuger von Bolton zur Kindsmutter nach Essex zog, wohnhaft in Milton Keynes. Leider hat der Bursche damit zu kämpfen, dass sein Bauchumfang nicht in der Lage ist, dauerhaft seine Hose zu halten. Da er sich scheinbar auch keinen Gürtel leisten kann, könnte man im Zug auch das Licht ausschalten, ohne dass es dunkel wird: Denn der blanke Mond von Milton Keynes erleuchtet das Abteil taghell.

Im Laufe der Fahrt outen sich noch andere Fangruppierungen im Abteil. Stoke City ist vertreten, AFC Bournemouth auch. Das führt dazu, dass der Stiernacken nun seinen Spaß daran findet, Gesänge anzustimmen – vor allem diesen einen über Posh Spice, die Beschreibung ihrer Oberweite und diverser anderer Vorzüge (oder auch nicht), in Dauerschleife. Der Rest stimmt mit ein.

20:30 Uhr: Zurück in St. Pancras. Dort ist es hell, und den Mond sieht man nicht mehr. Gepäck holen, einchecken und ab nach Hause ins Millers.


Zu Hause is‘ einfach am schönsten


21:45 Uhr: Vorm Millers empfängt uns gleich derselbe Türsteher von einst, der damals schon die Lügengeschichte um den Stuhl der Schande der kleinen Tommies nicht geglaubt hatte. Schnell stellt sich heraus, dass der Gute Verwandtschaft in Recklinghausen hat und somit mit Dortmund sowieso was anfangen konnte. Wie immer, sehr sympathisch… Den ganzen Tag haben wir uns nur aus Weißblechdose oder Plastikflasche ernährt – endlich wartet das erste landestypsiche Getränk in landestypischer Maßeinheit und landestypischem Serviervorschlag auf uns. Herrlich. Das Leben kommt zurück (keine Ahnung, dass wievielte es an diesem Tag)!

Nach 3-6 Getränken geht‘s mit der Bahn nach Camden, Party machen – anwärmen im World’s End, dann abzappeln eine Etage tiefer im Underworld. Beide haben wir uns vorher rausgesucht, weil sie unserem Musikgeschmack zu entsprechen scheinen. Und wir werden nicht enttäuscht. Bis die Hähne hochgeklappt werden, sind wir am Start.

3.00 Uhr Ortszeit: Mehr als 24 Stunden, nachdem in Dortmund der Wecker geklingelt hat, wir unzählige Litern verschiedenster Saftarten zu uns genommen haben und unsere Groundliste um zwei Einträge reicher ist, fallen wir ins Bett.


We are the Firm



Der nächste Tag beginnt ziemlich spät. Der Vortrag hat scheinbar doch an uns gezehrt. Kein Wunder aber egal. Wir schütteln uns kurz, frühstücken und suchen den Weg zur U-Bahn. King‘s Cross bis Upton Park heißt unsere Route. Der legendäre Upton Park in West Ham, im Osten der Stadt gelegen, liegt in seinen letzten Zügen. Die Hammers werden in Kürze ins Olympiastadion nach Stratford umziehen. Damit stirbt definitiv ein weiterer traditionsreicher Tempel englischer Fußballkultur.

Das Stadion liegt typisch eingebettet im Wohnviertel, also so, wie man sich Fußball in England vorstellt. Holger war vor zehn Jahren schon mal bei einem Spiel dort, daher kennt er sich etwas aus und bemerkt gleich, dass sich nichts verändert hat. Zielgerichtet steuern wir dann auch in den ersten Pub, „The Queens“. Endlich: Versiffter Teppichboden, vergilbte Tapete und Frauen (glauben wir zumindest)  hinterm Tresen in der Altersklasse 12-72, die entweder in Joggingklamotten oder körperbetont gekleidet das Pils ausschenken. Eins geht, dann geht’s weiter. Weit ist es nicht.

Unterwegs heißt uns ein Hammers-Fan noch herzlich Willkommen bei den Hammers. Wir gehen allerdings schnell und kopfschüttelnd weiter, als er uns seine Sympathiebekundung zu Pegida entgegenbringt, nachdem wir ihm sagen, woher wir kommen. Sehr peinlich, wir schämen uns echt fremd. Den Besuch im Fanshop verschieben wir auf nach dem Spiel. Wir hatten noch für zwei weitere Deutsche aus Berlin Karten für das Spiel gekauft, da an diesem Wochenende Leute aus dem Tooor.de-Forum einen gemeinsamen Trip nach London gebucht haben. Die Jungs treffen wir im Block, wir kommen gleich ins Gespräch („Danke, dass ihr uns den Ramos für so viel Geld abgekauft habt…“).

Vorm Spiel wird die bekannte West Ham-Hymne „I am forever blowing bubbles“ gespielt, dazu werden Seifenblasen am Spielertunnel ausgeblasen. Sehr geil! Aber wie immer verstummt das Volk nach der Hymne für den Rest des Spiels. Totenstille. Dabei hätte ein bisschen Support dem Spiel wirklich gut getan! Naja, dementsprechend sind wir froh über den Halbzeittee (in Plastik serviert). Die zweite Hälfte entschädigt dann wenigstens mit 3 Toren – das war‘s. Nach dem Spiel sind wir noch mit den Hertha-Jungs noch im „The Boleyn“ auf ein paar Pils verabredet. Dort treffen wir dann auch den Rest der Reisegruppe und feiern noch eine nette After-Match-Party. Um 18 Uhr geht‘s dann mit der Bahn zum Abendessen nach Islington, danach zurück nach Hause ins Millers, wo der Abend dann auch bis zur Sperrstunde ausklingt.


„This Bus Goes To Tottenham Townhall”

Für den Montag haben wir uns zur Zeitüberbrückung bis zum Abflug noch eine Stadiontour an der White Hart Lane in Tottenham gebucht. Mit dem Doppeldecker geht es gefühlte drei Stunden und „This bus goes to Tottenham Townhall“ in Dauerschleife Richtung Stadion. Tottenham liegt im Nordosten Londons. Der große Rivale ist Arsenal, die Stadien liegen ca. 6 km auseinander. Da es ein Montagmorgen im Januar ist, haben wir Glück, denn außer uns verirren sich nur noch zwei Tottenham-Fans (Mann und Frau oder Mann und Tochter, auf jeden Fall war er auch ein großer Freund der kalten Erfrischungsgetränke – und auf einer Fotowand im Spielertunnel mit seinem Hund im Spurs-Trikot verewigt…) aus den Midlands zur Tour.

Die White Hart Lane liegt ebenfalls mitten in einem Wohn- und Geschäftsviertel und wurde über die Jahre sukzessive erweitert. Die Kapazität beträgt jetzt ca. 45.000, die Grenze ist erreicht. Man wird in Kürze quasi an gleicher Stelle neu bauen. Geplant ist ein Stadion mit einer Kapazität von 60.000 Zuschauern, aber weil das Emirates Stadium des großen Rivalen Arsenal ebenfalls 60.000 Zuschauer fasst, hat man den Bauplan noch einmal geändert und wird nun eine Kapazität von 61.000 Zuschauern bauen. Der Neubau soll in 1-2 Jahren beginnen, man wird mindestens eine Saison in einem anderen Stadion spielen müssen, weiß aber noch nicht, wo das sein wird. Definitiv nicht im Emirates, wie man uns versicherte…

Die Tour wird, wie üblich, von einem älteren Herrn durchgeführt, der gleich leuchtende Augen bekommt, als wir unseren Verein outen und von unserer Wochenend-Tour erzählen. Die Tour selbst ist wie viele andere auch. Immerhin kommen wir sehr oft mit dem Herrn ins Gespräch, über (Fußball-)Gott und die (Fußball-)Welt. Als er uns u.a. von den früheren Stehplätzen im Stadion erzählt und wie eng es war, erzählen wir von unseren Dauerkarten auf Süd, der „Yellow Wall“, der Enge und den Bierduschen beim Tor. „Fantastic Crowd in Dortmund. Every time I see them on TV it´s amazing.” Auch weitere Gespräche insbesondere über Steffen Freund, der eine wahnsinnige Wertschätzung im Verein und bei den Fans erfährt und sogar in der Hall of Fame des Clubs ist, sind sehr angenehm. Von 2013 und den schwarzgelben Massen in London war er schwer beeindruckt und gesteht, selbstverständlich uns die Daumen gedrückt zu haben. Wir erklären ihm noch, wie scheiße langweilig Bayern ist und dass unser eigentlicher Feind blaue Trikots trägt. Nach 90 Minuten ist die interessante und kurzweilige Tour vorbei. Mit einem „Good luck for Dortmund“ werden wir Richtung Heathrow entlassen.  

Zwei London Pride am Flughafen noch und dann ab nach Hause. Müde, erschöpft aber glücklich und im sicheren Gefühl, dass das bestimmt nicht unser letzter England-Exkurs war.

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Schwarzgelbe Grüße von
: Holger & Marcel

Freitag, 9. Januar 2015

Der Sultan hat Durst


 
21.10.14: Die Reisegruppen Rheinland und Dortmund starten zu früher Stunde zum Airport Düsseldorf. Während es von Dortmund auf Nummer sicher mit dem Taxi Richtung Düsseldorf geht, kommt Köln/Bonn mit dem Zug - und der ersten großen Literpatrone Faxe im Terminal an.

Alles klappt planmäßig, so dass gleich am Flughafen die ersten Willkommensgetränke zum Frühstück um 06.30 Uhr morgens gereicht werden können. Die Idee hatten gleich einige in Schwarzgelb, was die wirklich schnelle und schlanke Bedienung – kurzerhand von uns gleich mal "Erik, der Winkinger" getauft - überforderte. Mit dem ernst gemeinten Spruch „7 große Pils – das schaffe ich nicht“ hatte die gute Dame auch gleich ungewollt den ersten Kalauer des Tages gerissen – wohlgemerkt nachdem sie das Schiff für einige Minuten führerlos den Massen überlassen hatte… 

Der Flieger startete mit etwas Verspätung, was unserer Champagnerlaune aber keinen Abriss tat. Die ersten landestypischen Getränke wurden zum kulinarischen Frühstück gereicht. Leider hatte die Airline zu wenig heimische Getränke an Board, so dass wir bald auf gegorenen roten Traubensaft umschwenken mussten. Nichtsdestotrotz verging die Zeit wie im Flug, gegen Mittag erreichten wir die Metropole am Bosporus. Per vorbestelltem Taxibus ging es Richtung Metropolis-Hostel, das im Stadtteil Sultanahmet, direkt unterhalb der blauen Moschee lag. Nachdem die Klamotten schnell im Zimmer geparkt wurden, ging es gleich hoch auf die Dachterrasse. Dort wartete ein freundlicher Mensch mit einem Kühlschrank landestypischer Getränke auf uns. Herrlich. Dazu der Blick auf den sonnendurchfluteten Bosporus – einmalig! 

Nach ein paar malzigen Erfrischungsbrausen teilte sich unsere Reisegruppe: Reisegruppe 1 erkundete die touristischen Sehenswürdigkeiten in der Nähe, Trainingsgruppe 2 erkundete die direkt Umgebung ums Hostel. Man wollte sicherstellen, dass die Gegend auch ok war und genug Erfrischungen für die ganze Gruppe vorrätig waren. Zudem war für den frühen Abend der letzte aus unserer Gruppe, Boris, noch angekündigt. Die Kneipenmeile in Sultanahmet war klasse. Schnell fanden wir mit dem „Sultan“ unsere Bleibe. Das Pils wurde hier in 2,5 Liter Gefäßen zum selber zapfen gereicht. Naja, aber egal…

Zu späterer Stunde (die Sonne schien noch) war unsere Gruppe wieder vereint und der Abend sollte seinen Lauf nehmen. Weitere Schwarzgelbe füllten die Tische im Sultan. Für Heiterkeit sollte dann eine verirrte Klatschpappe sorgen, der mit seiner Familie die wahnsinnig kluge Idee hatte, ausgerechnet im Sultan sein Abendessen zu sich zu nehmen, obwohl hier ein Restaurant neben dem anderen war. Dummerweise hatten seine beiden Jungs so komische rote Trikots (die Lederbuxen spielten abends in Rom) an, was gleich bei der schwarzgelben Masse auf freudigen Anklang traf. Das Liedgut wurde zielgerichtet geändert, der Wortwahl fehlte kurzerhand der gute Ton und der brave Vater sah sich genötigt, den Schwarzgelben mal richtig einzuheizen…keine wirklich gute Idee, der gute kassierte eine astreine verbale Watschn.

The Taskim Factory
Früh am Tag hatten wir den Plan gestrickt, abends noch zum Taksim zu fahren. Nach dem das Credo „Ja, noch ein Pils, dann fahren wir“ uns langsam in einen gewisse Übermut navigierte, trennte sich unsere Gruppe zu sehr später Stunde wieder und der wilde Teil stieg ins Taxi und lies sich zum Taksim karren. Nach Asien, wie wir an dem Abend alle glaubten… Keiner verstand, dass uns der Taxifahrer irgendwann in einer Seitenstraße aus dem Taxi entließ. Gut, einen Platz hatten wir uns irgendwie anders vorgestellt.

Nach kurzer Orientierungslosigkeit fanden wir eine Bar, in der wir auch gleich willkommen waren. Man lotste uns ins erste Stockwerk auf den Balkon und servierte. Vom dort konnten wir in ein vollbesetztes Gässchen mit vielen vollen Cafes blicken. Wie gemalt, um gleich mal eine kleine Performance im Stadtteil Galata von uns zu geben. Nach ein paar Erfrischungen entschlossen wir uns zum Rückweg mit dem Taxi Richtung Sultanahmet. Der Akku war leer, aber eine 2.5-Liter Stange ging sicher noch... Erst am Folgetag erfuhren wir, dass es am Taksim kurz vor unserer Ankunft ein kleines Tänzchen gegeben hatte…

Die gemeinsame Fanunternehmung
22.10.14: Der Tag begann recht früh. Rauf auf die Dachterrasse und erstmal frühstücken – also wirklich. Nach einiger Zeit sammelte sich die ganze Gruppe und war, nachdem alle Touristen die Terrasse verlassen hatten, alleine oben. Der freundliche Mensch des Vortages witterte das Geschäft und servierte Erfrischungen. Wir genossen die Malzzufuhr und konnten uns unten in der Gasse ein Schauspiel ansehen: Zwei echte türkische Handwerker versuchten, ihrem Handwerk nachzugehen, was wohl irgendwas mit Farbe zu tun hatte. Ihre Gerüstkonstruktion hätte jedoch sicherlich nicht nur dem deutschen Arbeitsschutz die Schweißperlen auf die Stirn getrieben. Auch wir erwarteten einen unausweichlichen Genickbruch.

Egal, für Trainingsgruppe 2 stand heute Tourismus auf dem Programm, Reisegruppe 1 wollte seine Erkenntnisse des Vortages vertiefen und entschied sich für Sightseeing for Professionells. Per Cabrio-Bus steuerte man durch die wirklich atemberaubende Stadt. Bosporusbrücke, Asien (also jetzt wirklich), Besiktas-Stadion-Baustelle und der ewig zähe Verkehr in der Stadt waren der Wahnsinn. Wir entschieden uns, den Bus dann am Taksim zu verlassen (also wirklich). Einige (viele) Gala-Fans tummelten sich hier auch - und erstmals kam uns die Stimmung etwas angespannter vor. 

Nach einer Stunde gings wieder ab mit dem Bus Richtung Heimathostel. An der Blauen Moschee war die Fahrt vorbei, und wir hatten noch ein paar Fußmeter vor uns, als uns ein älterer deutscher Tourist glatt fragte, warum denn so viele Leute in Schwarzgelb in Istanbul wären und ob wir eine „gemeinsame Fanunternehmung" hätten. Ach ja – und wie wir angereist wären? Mit dem Deutschland Achter, wie sonst. Ist doch klar. Der kannte wohl nicht den alten Gassenhauer „Heute fährt der Achter bis nach Istanbul“… Ja, ne, ist klar. Die Unternehmung ist seit Jahren geplant und zufällig fällt der Termin mit unserem Gastspiel in Istanbul zusammen… Oh Mann.

Auf nach Dolombahce
Sammelpunkt war 14.30 Uhr auf der Dachterrasse. Es gab die verdienten Erfrischungen und gemeinsam fing man an, sich langsam aufs Spiel einzustimmen. Treffpunkt aller
Schwarzgelben war 18.30 Uhr am Dolombahce Platz, direkt am Fuße des Besiktas-Stadions.

Mit der Straßenbahn fuhren wir dorthin. Hunderte Schwarzgelbe tummelten sich dort bereits, gelegentlich in Begleitung einer verräterischen Plastiktüte. Aufgrund unseres unterhopften Status' erkundeten wir das gastronomische Umfeld, das sich als Diaspora erwies. Zwei kümmerliche Cafes waren in der direkten Umgebung, die beide auffällig wenig Schwarzgelbe zu ihren Gästen zählten. Die Getränkekarte bot überall nur bleifrei an. Praktiker-Boris wurde es kurzentschlossen zu bunt, und er tigerte zum nächsten Supermarkt, der irgendwo kurz vor Ankara gewesen sein muss. Sichtlich gealtert, aber mit besagter verräterischer Plastiktüte und einem erleichterten Lächeln um den Zahn, kam er nach unbestimmter Zeit zurück, und wir konnten uns rechtzeitig stärken, bevor sich die Bustüren des wirklich blendend organisierten Konvois zum Stadion hinter uns schlossen.


Die Türk-Telekom-Arena wurde vor wenigen Jahren vor den Toren Istanbuls neu gebaut. Die Fahrt dorthin verdeutlichte jedem die Dimensionen der Stadt, denn sie dauerte fast 45min. Je näher wir dem Stadion kamen, desto häufiger wurden wir aus den umliegenden Fahrzeugen fröhlich mit gereckten Fäusten oder ausgeklappten Mittelfingern gegrüßt. Schließlich erhob sich das Stadion zur linken. Äußerlich durchaus zu vergleichen mit der bereits bekannten Amsterdam-Arena, innen mit dem gleichen seelenlosen Charme wie jeder andere bekannte Neubau.

Um die Bekanntschaft mit den heimischen Fans zu vermeiden, wurde der Konvoi bis direkt vor den Gästeblock gefahren. Da die Infrastruktur nicht auf so viele Busse ausgelegt wurde, durften die letzten Busse, zu denen auch wir gehörten, kurzerhand auf der Autobahn aussteigen. Der Gästeblock war auch innerhalb des Stadions komplett abgeschottet. Neben eigenen Treppenhäusern wurde der sich unter dem Dach befindliche Gästebereich zudem durch ein veritables Fangnetz vom Heimbereich abgetrennt. Wem sich der Sinn eines solchen Netzes nicht erschlossen hat, dem seien die Ereignisse des Rückspiels ins Gedächtnis gerufen. Also durchaus keine ganz doofe Idee, das Fischernetz!

Das Stadion füllte sich nach und nach, trotzdem zeichnete sich kurz vor Anpfiff ab, dass das Spiel den Ausverkauft-Status deutlich verfehlen würde. Wie wir erfahren konnten, haben zum einen die Ticketpreise in der Türkei zur neuen Saison bei den Istanbuler Vereinen deutlich angezogen. Zum anderen, und dies ist der eigentliche Grund, wurde dort nach italienischem Vorbild eine Art „Fancard“ in Form einer Kreditkarte eingeführt, die alle persönlichen Daten des Besitzers gespeichert hat. Trotzdem machten die geschätzt 40.000 Gala-Fans vor Anpfiff ordentlich Programm. Bei der Verlesung der Gästeaufstellung zeigte sich, dass man dort offensichtlich das Pfeifkonzert erfunden hatte. Mein lieber Herr Gesangsverein, die kommen da glaube ich schon pfeifend aus dem Mutterleib raus! Daher traf es sich gut, dass unsere Mannschaft schon nach sechs Minuten den ersten Stimmungskiller servierte. Bis zur Pause folgten zwei weitere, sodass spätestens ab dann nur noch der bis dato gut aufgelegte Gästeblock die Atmosphäre diktierte.

Leider nahm nach der Pause auch die Performance des Gästeblocks deutlich ab, sicherlich insbesondere durch den „beliebten“ Dauersingsang bedingt. Nach gut einer Stunde Spielzeit startete bereits der Exodus der Gala-Fans. Nachdem Ramos den vierten einschenkte, konnte man sich tatsächlich vom angemessenen Evakuierungsplan des Architekten überzeugen, so sehr drängten die Massen zu den Ausgängen. Bei Abpfiff waren vielleicht noch 10.000 Türken im Stadion. Für uns ganz sicher ein dankbarer Umstand, sollte doch die Blocksperre ungewohnt kurz ausfallen.

Trotzdem durfte Holger seinen 40. Ehrentag mit uns in der Blocksperre um 00:00 Uhr Ortszeit begehen - das standesgemäße Mineralwasser allerdings blieb auf der Strecke. Als die Sperre aufgehoben wurde, drängelten wir uns taktisch klug in einen der ersten Busse. Da die rund 2.500 Gästefans wieder alle geschlossen zum Dolmabahce-Platz chauffiert wurden, schwante uns nämlich schon eine Treibjagd auf die dortigen Droschken. Und so kam es auch, nur das wir schnell wie geplant eine erhaschen konnten.

Um Punkt 01:00 Uhr saßen wir dann wieder bei unserem Sultan und vertrieben uns noch das ein oder andere Stündchen an den 2,5-Liter Stangen. Als Geburtstagsüberraschung gab es für Holger durch den Sultan noch eine echte Pyroshow – die Bedienung übergab einen Cocktail, garniert mit einer Mütze, die aus einer halben Orangenschale bestand, in der eine Wunderkerze steckte. Nach und nach löste sich unsere Runde auf, da am kommenden Morgen unsere Rückflüge anstanden.

23.10.: Rückreise. Leider hatten wir nicht alle die gleichen Rückflüge bekommen. Holger und Boris mussten schon sehr früh morgens zum Flughafen, der Rest flog am späten Vormittag. Am Flughafen wurden dann noch die letzten Lira in Zigaretten und Souvenirs für die Familien investiert, bevor uns der Premium Sponsor zurück nach Düsseldorf flog. Müde verbrachten wir die 3,5 Stunden mit dem ein oder anderen Schläfchen, in Vorfreude auf die heimische Couch. 

Fazit: Eine einmal mehr gelungene internationale Auswärtstour in eine Stadt, die kulturell, architektonisch, gastfreundschaftlich und nicht zuletzt klimatisch voll überzeugen konnte. Der 4:0-Sieg war da nur der i-Punkt. Nur eines hat nicht geklappt: Den Durst des Sultans konnten die zwei Tage nicht löschen.


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Schwarzgelbe Grüße von
: Holger, Manuel, Basse & Marcel